Zeitbasierte Medien (z.B. Audio, Video und die Kombination von Audio und Video) benötigen Alternativen. Der Zugang zu zeitbasierten Medien kann im einfachen Fall durch Transkripte oder Textbeschreibungen erfolgen, aber vor allem wenn Audio und Video miteinander synchronisiert sind, sind weitergehende Anforderungen zu Untertiteln und Audiodeskription maßgebend. Darüber hinaus benötigen auch interaktive Medien geeignete Alternativen, etwa wenn Nutzer unmittelbar auszuführende Anweisungen ausschließlich visuell oder ausschließlich auditiv erhalten.
Accessibility-Checkliste: Zeitbasierte Medien
Diese Accessibility Checkliste hilft bei der Überprüfung einer Webseite auf Konformität zu den Erfolgskriterien der Richtlinie 1.2 (Konformitätsstufe AA) der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.0 bzw. den Bedingungen der Anforderung 1.2 (Priorität I) der Barrierefreien Informationstechnik-Verordnung – BITV 2.0.
- Zeitbasierte Medien, die als Medienalternative für andere Inhalte eingesetzt werden (z.B. Gebärdensprachfilme oder Aufsprachen als Alternative für Text) müssen als Medienalternative deutlich gekennzeichnet werden. Da ein solcher Inhalt bereits eine Alternative für andere Inhalte ist, benötigt die Alternative weder ein Transkript noch Untertitel noch eine Audiodeskription.
- Aufgezeichnete Audioinhalte benötigen eine Textalternative. Im Text müssen alle Informationen (einschließlich zeitabhängiger Anweisungen und relevanter Geräusche) berücksichtigt werden.
- Für aufgezeichnete Videoinhalte gilt:
- Videoinhalte ohne Audiospur benötigen ein Transkript oder eine synchronisierte Audiospur für die visuell vermittelten Inhalte. Im Text bzw. in der Aufsprache müssen alle Informationen (einschließlich visuell vermittelter, zeitabhängiger Anweisungen und sonstiger Zusammenhänge) berücksichtigt werden. Eine Medienalternative kann als synchronisierte Audiodeskription oder als eigenständige Medienalternative geboten werden.
- Videoinhalte mit Audiospur benötigen synchronisierte Untertitel für ausschließlich auditiv vermittelte Inhalte. Untertitel müssen dabei Sprecher und nicht-sprachliche Audioinhalte (z.B. bedeutungstragende Geräusche oder Gelächter) berücksichtigen. Untertitel können als geschlossene (zuschaltbare) Untertitel oder offene (immer sichtbare) Untertitel umgesetzt werden und als eigenständige Medienalternative geboten werden.
- Videoinhalte mit Audiospur benötigen eine synchronisierte Audiodeskription für ausschließlich visuell vermittelte Inhalte. Informationen über wichtige Handlungen, Darsteller, Szenenwechsel und Text, die auf der Audiospur weder beschrieben noch gesprochen werden, müssen in der Audiodeskription berücksichtigt werden (sofern ausreichende Dialogpausen vorhanden sind). Falls eine Audiodeskription erforderlich ist, muss sie auch dann bereitgestellt werden, wenn ein Transkript nach Konformitätsstufe A der WCAG 2.0 vorhanden ist.
- Live-Videos mit Audiospur (z.B. Fernseh-Streams) benötigen synchronisierte Untertitel für auditiv vermittelte Inhalte.
- Alle Alternativen für zeitbasierte Medien, die nicht mit der zeitbasierten Media synchronisiert werden (z.B. Link zu einem Transkript oder einem Video mit Audiodeskription), müssen im Kontext der zeitbasierten Media verfügbar gemacht werden.
Weitere Accessibility-Checklisten
- Anforderung 1.1: Textalternativen
- Anforderung 1.2: Zeitbasierte Medien
- Anforderung 1.3: Anpassbar
- Anforderung 1.4: Unterscheidbar
- Anforderung 2.1: Per Tastatur zugänglich
- Anforderung 2.2: Ausreichend Zeit
- Anforderung 2.3: Anfälle
- Anforderung 2.4: Navigierbar
- Anforderung 3.1: Lesbar
- Anforderung 3.2: Vorhersehbar
- Anforderung 3.3: Hilfestellung bei der Eingabe
- Anforderung 4.1: Kompatibel
Graue Haare
Dieser Beitrag ist Teil der Serie "Accessibility-Checkliste gegen graue Haare". Zuletzt musste ich mich mit der Barrierefreien Informationstechnik-Verordnung (BITV) 2.0 auseinandersetzen, die gerne als deutsche Fassung der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.0 angesehen wird. Die BITV 2.0 weicht allerdings erstaunlich oft von den WCAG 2.0 ab.
Im Zuge der Untersuchung musste ich mich auch mit dem sogenannten "BITV-Test" der DIAS GmbH - eine Prüfanleitung für barrierefreies Webdesign - auseinandersetzen, um seine Zuverlässigkeit zu bewerten. Auffällig war insbesondere die deutliche Abweichung des "BITV-Tests" von der BITV 2.0 (und den WCAG 2.0).
Diese beiden Umstände haben mich dazu veranlasst, graue Haare für die BITV 2.0 und den "BITV-Test" wie folgt zu vergeben:
- Ein graues Haar gibt es für die BITV 2.0, wenn eine Anforderung oder eine Bedingung inhaltlich von den WCAG 2.0 abweicht. Ein graues Haar gibt es auch für einzelne Prüfschritte im "BITV-Test", wenn
- im Prüfschritt die Bedingung aus der BITV 2.0 nicht geprüft werden kann (z.B. weil nur eine Best-Practice-Technik geprüft wird),
- im Prüfschritt etwas geprüft wird, das nicht in der BITV 2.0 verlangt wird und
- der Prüfschritt so allgemein gehalten wird, dass er nicht zuverlässig eingesetzt werden kann.
- Für solche Anforderungen und Bedingungen der BITV 2.0, die im Einklang mit den Richtlinien und Erfolgskriterien aus den WCAG 2.0 sind, und solche Prüfschritte im "BITV-Test", die eine Überprüfung der BITV 2.0 zulassen, gibt es drei farbige Haare und ein "OK".
BITV 2.0 (Anlage 1) und WCAG 2.0
Die Anforderung der BITV 2.0 ist im Einklang mit der Richtlinie aus den WCAG 2.0.
Auf Priorität I der BITV 2.0 werden fünf Bedingungen zu zeitbasierten Medien formuliert:
Die erste Bedingung der BITV 2.0 zu zeitbasierten Medien ist 1.2.1 Aufgezeichnete Audio- und Video-Dateien. Demnach muss es für reine Audioinhalte (z.B. ein Podcast) oder reine Videoinhalte (z.B. ein Screencast) eine Alternative geben. Eine Textalternative (z.B. Transcript) kann technisch gelesen und ggf. in eine erforderliche Form (z.B. Symbolsprache) übersetzt werden. Für reine Videos kann statt einer Textalternative eine Audiospur berücksichtigt werden, und auf der Basis der WCAG 2.0 können beispielsweise auch Untertitel als Alternative für reine Audioinhalte dienen.
Es gibt zwei weitere Rahmenbedingungen:
- Die Bedingung gilt nur für aufgezeichnete reine Audio- bzw. aufgezeichnete reine Videoinhalte.
- Die Bedingung gilt nicht für solche Audio- und Videoinhalte, die bereits als Medienalternative für andere Inhalte eingesetzt werden (z.B. Gebärdensprachfilme oder Aufsprachen, die eine Alternative für Text sind).
In Bedingung 1.2.2 Erweiterte Untertitel (Captions) wird die Einbindung von erweiterten Untertiteln für Audioinhalte in synchronisierten Medien (z.B. Video mit Audio) gefordert. Es geht bei erweiterten Untertiteln nicht nur um gesprochenen Text, sondern um alle akustischen Inhalte, die zum Verständnis der Media erforderlich sind. Die Bedingung gilt nicht für bereits als Medienalternative eingesetzte Inhalte, z.B. wenn der vollständige Inhalt bereits als Text vorhanden ist oder wenn der Audioinhalt eine Audiodeskription ist.
Die Konformitätsstufen A und AA der WCAG 2.0 werden in der BITV 2.0 zusammengelegt. Das ist bei den meisten Bedingungen kein besonderes Problem, allerdings bei der Bedingung 1.2.3 Audio-Deskription oder Volltext-Alternative entsteht ein Widerspruch. Obwohl die Bedingung im Kern dem Erfolgskriterium aus den WCAG 2.0 entspricht, so findet sich auf Priorität I auch die Bedingung 1.2.5.
Bedingung 1.2.3 besagt, dass für visuell vermittelte Inhalte, die in synchronisierten Medien nicht bereits durch die Audio-Spur vermittelt werden, dass:
- Entweder die Einbindung von Audiodeskription für Videoinhalte in synchronisierten Medien zu berücksichtigen
- oder eine Textalternative (ein Transkript) für solche Medien bereitzustellen ist.
In beiden Fällen geht es dabei nicht nur um visuell vermittelten Text, sondern um alle visuellen Inhalte, die zum Verständnis der Media erforderlich sind. Für ein Transkript gilt, dass es in diesem Fall auch die Audio-Inhalte enthalten muss, weil das Transkript i.d.R. nicht mit der Media synchronisiert ist. Die Bedingung gilt nicht für bereits als Medienalternative eingesetzte Inhalte, z.B. wenn der Videoinhalt bereits als Text vorliegt oder wenn es sich um ein Gebärdensprachfilm handelt.
In Bedingung 1.2.5 wird mit gleicher Priorität verlangt, dass eine Audiodeskription berücksichtigt wird.
In den WCAG 2.0 sind die beiden Kriterien unterschiedlichen Konformitätsstufen zugeordnet. Der Grundgedanke dabei ist, dass wenn eine zusätzliche Beschreibung der visuellen Inhalte erforderlich ist:
- Auf Konformitätsstufe A können Videoinhalte entweder durch Audiodeskription oder durch ein Transkript zugänglich gemacht werden und
- erst auf Konformitätsstufe AA ist eine synchronisierte Audiodeskription erforderlich.
Konsequenterweise muss aufgrund der Zusammenlegung der Konformitätsstufen A und AA die Bedingung 1.2.3 in der BITV 2.0 gestrichen werden.
Nach Bedingung 1.2.4 Live-Untertitel gilt es, auch Live-Audioinhalte in synchronisierten Medien (z.B. in Fernseh-Streams) mit erweiterten Untertitel zu ergänzen.
In Bedingung 1.2.5 Audio-Deskription werden die gleichen Anforderungen an Videoinhalte gestellt wie in dem entsprechenden Erfolgskriterium der WCAG 2.0. In der BITV 2.0 wird eine Ausnahme beschrieben, die für die Praxis aber irrelevant ist. Gebärdensprachfilme werden ausgenommen, obwohl die Bedingung nur für synchronisierte Medien gilt.
„BITV-Test“ und BITV 2.0
Der „BITV-Test“ bietet drei Prüfschritte zu zeitbasierten Medien an:
Der Prüfschritt 1.2.1a Alternativen für Audiodateien und stumme Videos bietet eine Prüfanleitung entsprechend der BITV 2.0.
Der Prüfschritt 1.2.2a Videos mit Untertiteln bietet eine Prüfanleitung entsprechend der BITV 2.0. Mit dem Prüfschritt wird neben Bedingung 1.2.2 auch Bedingung 1.2.4 geprüft.
Der Prüfschritt 1.2.3a Audiodeskription für Videos bietet eine Prüfanleitung entsprechend der BITV 2.0, allerdings bildet die Prüfanleitung Bedingung 1.2.5 ab und nicht Bedingung 1.2.3.
Zur Serie "Accessibility-Checkliste gegen graue Haare
Den Anlass für diese Serie finden Sie im einleitenden Beitrag Accessibility-Checkliste gegen graue Haare beschrieben.
Es ist wichtig, dass es in Deutschland Regelungen zur Barrierefreiheit im Web gibt. Allerdings steht die BITV 2.0 in Widerspruch zu internationalen Webstandards und weiteren Industrienormen, was in der Praxis durchaus ein Problem darstellt. Dass der "BITV-Test" diese Differenzen nicht relativiert, sondern verstärkt, hat zur Folge, dass barrierefreies Webdesign in Deutschland missverstanden wird. Die WCAG 2.0 sind stabile und international anerkannte Standards, die in den erläuternden Dokumenten laufend auf den aktuellen Stand der Technik gehalten werden. Die BITV 2.0 ist hingegen starr, und der "BITV-Test" bietet keinesfalls eine geeignete Basis, eine Konformität zu der BITV 2.0 (oder den WCAG 2.0) reliabel zu überprüfen.
Die Serie besteht aus einer Reihe von Checklisten, die jeweils die einzelnen Anforderungen der BITV 2.0 abbilden. Ergänzt werden die Checklisten mit Kritik an einzelne Bedingungen der BITV 2.0 und Kritik an einzelne Prüfschritte im "BITV-Test". Insgesamt handelt es sich bei dieser Serie um 12 Accessibility-Checklisten, die bei Bedarf auch aktualisiert werden:
- Anforderung 1.1: Textalternativen
- Anforderung 1.2: Zeitbasierte Medien
- Anforderung 1.3: Anpassbar
- Anforderung 1.4: Unterscheidbar
- Anforderung 2.1: Per Tastatur zugänglich
- Anforderung 2.2: Ausreichend Zeit
- Anforderung 2.3: Anfälle
- Anforderung 2.4: Navigierbar
- Anforderung 3.1: Lesbar
- Anforderung 3.2: Vorhersehbar
- Anforderung 3.3: Hilfestellung bei der Eingabe
- Anforderung 4.1: Kompatibel
Es gibt – vor allem bei Videos von Vorträgen sowie im universitären Kontext (Vorlesungen) – Fälle in denen die BITV 2.0 besonders verwirrend ist. Nach WCAG 2.0 kann man für Fälle, in denen Sprechpausen nicht ausreichend lang sind, eine erweiterte Audiodeskription einsetzen (1.2.7 – AAA). Nun steht in der Begründung zu 1.2.7 der BITV 2.0:
„Die Bedingung der WCAG 2.0, dass eine Audio-Deskription nur bereitzustellen ist, wenn hierfür ausreichende Pausen zur Verfügung stehen, wurde nicht in die Anlage 1 übernommen. Eine Audio-Deskription ist grundsätzlich bereitzustellen, zumal das Kriterium „ausreichende Pausen“ in der Praxis nicht bewert- und prüfbar ist.“
In den WCAG 2.0 heißt es dagegen:
„1.2.7 Erweiterte Audiodeskription (aufgezeichnet): Wenn die Pausen im Vordergrund-Audio nicht ausreichend sind, um Audiodeskriptionen zu ermöglichen, die den Sinn des Videos vermitteln, dann wird eine erweiterte Audiodeskription für alle aufgezeichneten Videoinhalte in synchronisierten Medien bereitgestellt. (Stufe AAA)“
Abgesehen davon, dass der erste Satz aus der oben zitierten Begründung nicht stimmt – das steht ja so nicht in den WCAG: Immer, wenn ich das lese, habe ich den Eindruck, dass das Wesen der „Erweiterten Audiodeskription“ nicht klar war. Das ist einfach auch handwerklich schlecht an der BITV 2.0, da Audiodeskription und erweiterte Audiodeskription in einen Topf geworfen werden. Man weiß einfach nicht so ganz genau, wovon die Rede ist. Noch verwirrender wird es, wenn man die Systematik der BITV 2.0 betrachtet, die quasi aufgrund der Typisierung von Website / Zentrales Einstiegs- und Navigationsangebot, bei 1.2.5 einen Cut macht. So gesehen könnte man dann wieder denken, dass es doch immer die Audiodeskription sein muss.
In der Praxis würde ich mich da schlicht drüber hinwegsetzen und nicht mehr groß nachdenken. Wenn die Sprechpausen nicht reichen (und das tun sie in solchen Fällen wie oben regelmäßig nicht), dann würde ich immer die Erweiterte Audiodeskription empfehlen und es ist illusorisch, Speakern oder Profs „erfolgreich“ zu vermitteln, sie müssen ausreichende Sprechpausen machen, damit man die Audiodeskription reinquetschen kann.
(Sorry, dass so lang geworden ist – ehrlich: Die BITV 2.0 ist schon zuweilen sehr eigenwillig).